
Vladimir Andreenkov hat erzählt, dass seine Werke schon während der Sowjetzeit im Ausland gezeigt wurden. Es interessierte mich, wie es bereits im Jahr 1970 dazu kam und deshalb habe ich zwei Interviews geführt. Das erste Interview hat am 23. Oktober 2010 im Café “Wühre“ in Zürich stattgefunden. Die Teilnehmer waren Johanna Lohse, Vladimir Andreenkov, Natalija Cholodowskaja, Nadja Brykina und ich (Anna Brouver). Danach folgte das zweite Interview mit dem Galeristenpaar Renée und Maurice Ziegler in den Räumlichkeiten ihrer Galerie (Galerie Ziegler in Zürich) am 18. Dezember 2010.
Andreenkovs Kunstwerke sind erstmals im Jahre 1970 ausserhalb von Russland ausgestellt worden. Die Werke kamen dank Liesl Ujvary nach Zürich. Liesl (auch von Vladimir genannt Lisa) ist 1939 in Bratislava geboren und lebt in Wien. Heute ist sie als Schriftstellerin und Künstlerin tätig. Damals im Jahr 1970 hat sie zusammen mit einer der ersten Sekretärinnen von Renée und Maurice Ziegler Slawistik studiert. Sie war als Übersetzerin tätig, war öfters in Moskau, kannte verschiedene inoffizielle Künstler und hat damals die von ihr ausgewählten Zeichnungen im Koffer von Moskau nach Zürich mitgebracht. Renée und Maurice Ziegler waren an den Zeichnungen der inoffiziellen sowjetischen Künstler interessiert und haben eine Ausstellung darüber organisiert.
Diese Ausstellung hat vom 1. bis zum 30. Mai 1970 unter dem Titel “6 Sowjetische Künstler” in der Galerie Ziegler stattgefunden. Die ausgestellten Künstler waren Vladimir Andreenkov, Evgeny Bachurin, Ilya Kabakov, Yuri Kuperman, Ülo Sooster und Vladimir Yankilevsky.
Da es in der Sowjetzeit praktisch unmöglich war, ein Visum für einen Auslandaufenthalt zum Zwecke der Teilnahme an einer Ausstellung für moderne Kunst zu erhalten, konnten die Künstler nicht selber an der Ausstellung in der Galerie Ziegler teilnehmen. Deshalb haben Renée und Maurice Ziegler nach der Ausstellung entschieden, in die Sowjetunion zu reisen, um die Künstler persönlich kennen zu lernen.
Richard Paul Lohse, der seinerseits zu den Künstlern im Programm der Galerie Ziegler zählte hatte Interesse an sowjetischen Konstruktivisten. Maurice Ziegler und Johanna Lohse erzählten, dass sich Maurice Ziegler und Richard Paul Lohse durch die Zeitschrift “Bauen-Wohnen” kennen gelernt haben. Maurice war damals Architektur Student an der ETH und wollte eine Auskunft über Jean Prouvé und Richard Paul Lohse war Redaktor der Zeitschrift. Richard Paul Lohse hat die Ausstellung „6 Sowjetische Künstler“ besucht, hatte Interesse und kaufte einige Werke auf Papier aus der Serie der “Vertikalen” von Vladimir Andreenkov. Lohse hat beschlossen den Künstler während seiner Reise nach Russland persönlich kennenzulernen. Denn im Sommer 1974 war Johanna Lohse, die Tochter von Richard Paul Lohse in Russland. Anfang August hat Johanna Lohse den Russischunterricht an der Moskauer Universität besucht. Somit waren die Vormittage mit der Russischen Sprache besetzt und jeweils nachmittags ging Johanna Lohse durch die Stadt und entdeckte die Architektur für sich. So hat sie damals unter anderem das Centro Soyuz Gebäude an der Myasnitskaja Strasse 39, den Schuchow-Radioturm und das Melnikov Haus besucht.
Als Johanna Lohse eines nachmittags vor dem Melnikov Haus stand, klingelte sie und sagte: “Ich bin Architektin aus Zürich” und die Frau von Konstantin Melnikov hat sie reingelassen. Johanna Lohse konnte sich das Haus anschauen. Konstantin Melnikov (1890-1974), bekannter russischer Architekt und Künstler war schon zu dieser Zeit im Spital. Vladimir Andreenkov kannte den Sohn – Viktor Melnikov, der auch Künstler war, sie waren gut befreundet.
Ende August 1974 kamen dann die Eltern von Johanna Lohse – Richard Paul und Ida Alis Lohse nach Moskau. Sie haben dann zusammen mit der Tochter Architektur in Moskau und St. Petersburg angeschaut. Es war in der letzten Augustwoche, die Woche, in der Andreenkov Geburtstag ist – als sich beide Künstler Richard Paul Lohse und Vladimir Andreenkov persönlich getroffen haben.
Johanna Lohse erinnert sich wie sie jeden Samstag jeweils um 14 Uhr zum Centralny Telegraf Gebäude in Moskau ging, um ihre Eltern anzurufen. Sie wartete oft 4 bis 5 Stunden bis ein Übersetzer frei wurde und die Verbindung ins Ausland möglich war. Alle Anrufe wurden abgehört. Es war wichtig vorsichtig zu sein. In einem der letzten Telefongespräche hat Johanna ihren Vater verschlüsselt gebeten seine Kataloge nach Moskau zu bringen. Es war damals sehr schwierig und fast unmöglich für die Künstler in der Sowjetunion zu erfahren, was in der westlichen Kunstwelt geschieht. Das Gepäck wurde nicht kontrolliert und die Kataloge sind in Moskau angekommen. Als sich beide Künstler trafen, schenkte Richard Paul Lohse das Buch an Andreenkov. Später hat Andreenkov sein Werk dem Lohse gezeigt. Lohse hat einige Zeichnungen auf Papier ausgewählt, die ihm Andreenkov später schenkte.
Es war ein Treffen der beiden Künstler aus zwei verschiedenen Welten – der freien und der eingeschränkten. Das Leben im Inneren, in der Isolation, wo man nicht miteinander über die freie Kunst offen sprechen konnte und das freie demokratische Leben, wo man eigene Gedanken und Gefühle frei ausdrucken durfte; wo man konstruktive Werke publizieren und ausstellen durfte ohne Angst zu haben “zerstört” zu werden.
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